Auftragstext: eine humorvolle, pointierte, aktuelle Neufassung der "Bremer Stadtmusikanten"
als Gesellschaftsfabel Der Text wurde von einer Schauspielerin und mit musikalischer Untermalung
zur Auftaktveranstaltung eines ordentlichen Gewerkschaftstages vorgetragen.
[Es folgt ein Auszug.]
DIE BREMER STADTMUSIKANTEN 2.0 – eine musikalische Groteske
[1. Kapitel (Intro)]
Die letzten Sekunden des Prologs „Nacherzählung Bremer Stadtmusikanten“. Off-Audio der Schattentheater-Animation: „… und flohen in größter Furcht in den Wald hinaus…“ In den letzten Klängen der Filmmusik abrupter Lichtwechsel und Spot auf die Vorleserin, die mit energischen Schritten und in Richtung Regie winkend auf die Bühne kommt:
Stop, Stop, Stop! Schon klar: Esel, Hund, Katze und Hahn, lehren mit vereinten Kräften die bösen Räuber ordentlich das Fürchten und schlagen sie erfolgreich in die Flucht. Ende gut, alles gut – ein Märchen eben. Fabelhaft ausgedacht! Aber wenn ich so drüber nachdenke… wir haben da vier Gestalten in prekären Verhältnissen. Sie werden ungerecht behandelt, aber statt sich damit abzufinden, schließen sie sich zusammen und kämpfen gemeinsam für eine lebenswerte Zukunft…
Als eine Geschichte aus dem Jahr 1819 spiegelt das Märchen ursprünglich die Sorgen, aber auch die Hoffnungen der Menschen im 19. Jahrhundert wider.
Wie sähe die Erzählung über Menschen, die sich für Gerechtigkeit in der Arbeitswelt einsetzen, wohl heute aus? Ich würde sagen: Finden wir es gemeinsam heraus!
[Musik]
Bleiben wir bei den vier Figuren. Das sind natürlich Menschen wie Du und ich, die sich da zusammentun: Eddy Grau, Nele Kleff, Max Schnurr und Paula Gallo. Die vier sind nicht nur auf Facebook befreundet, sondern haben im echten Leben ’ne kleine Revolte angezettelt. Wie es dazu kam? Na, fangen wir mal mit Eddy Grau an. Der Name passt zur Haarfarbe. Eddy ist Bierbrauer und Mälzer von Beruf und hatte sich jahrelang für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns eingesetzt.. Eddy ist jetzt Mitte 50, und in der Brauerei, wo er arbeitet, haben sie richtig gute Tarifverträge. Er hätte sich damals also beruhigt zurücklehnen können. Aber er wusste halt auch schon immer, dass diese ganze Wirtschaft dauerhaft nur funktioniert, wenn wirklich alle überall gut bezahlt werden. Deshalb ist er bei so gut wie jeder Aktion seiner Gewerkschaft mit dabei. Wenn er sich ein Tattoo stechen lassen würde, würde es lauten: „Fight for your Rights!“. Für ein Tattoo fühlt sich Eddy zwar zu alt, für Arbeitskampf aber noch lange nicht.
[…]
[2. Kapitel]
Jetzt kennen wir also die Heldinnen und Helden unserer Geschichte, auch wenn sie nicht gerade wie die „Avengers“ aussehen. Im Moment sitzen Eddy Grau, Nele Kleff, Max Schnurr und Paula Gallo gemütlich in Neles Wohnzimmer zusammen, und Eddy wedelt mit einer Job-Anzeige, die er ganz old-school aus einer Musikzeitschrift ausgeschnitten hat.
„Im ‚Bremen‘ wird ein neuer Resident-DJ gesucht“, verkündet Eddy, der Bierbrauer.
„In Bremen“, verbessert ihn Nele, die anscheinend nicht ganz up to date ist in der hiesigen Club-Szene. Denn: das Bremen ist ein neuer, ziemlich hipper Club in der Gegend. Doch Eddy als DJ? Nele ist da eher skeptisch: „Bist du nicht schon der Resident-Arbeitskämpfer bei euch in der Region? Wann willst du denn da noch Platten auflegen?“
Ja, da hat sie nicht ganz unrecht. Die ehrenamtliche Gewerkschaftsarbeit fordert ’ne Menge Zeit, und dann wäre ja noch die Arbeit an sich…
Doch auch Max, der als Betriebsratsmitglied und Maschinenführer in seiner Brotfabrik auch nicht gerade unendlich viel Freizeit hat, geht in Gedanken schon seine Vinyl-Sammlung durch und springt Eddy zur Seite.
„Das ist jetzt aber sehr „entweder oder“, Nele. Was ist aus „lebe deine Träume“ geworden? Gleicher Lohn für gleiche Arbeit für deine Kolleginnen in der Molkerei, das war doch am Anfang auch nur ein Traum. Und jetzt? Wenn du ganz nebenbei in deinem Betrieb ’ne feministische Ikone geworden bist, kann Eddy doch auch DJ werden.“
Gut, da kann Nele schwer widersprechen, auch wenn „so ganz nebenbei“ gar nichts gelaufen war. Am Ende hatten die Frauen in der Molkerei androhen müssen, aus dem Streik einer eigentlich fast abgeschlossenen Tarifrunde nicht wieder reinzugehen, wenn jetzt nicht auch noch die Ergebnisse des eg-check umgesetzt werden.
„Na gut, vielleicht ist es ja dann auch mal an der Zeit, das Schlagzeug abzustauben“, meint Nele und grinst. „The Farm-Animals aaaaaare baaaack!“
[Musik]
Paula hebt fragend eine Augenbraue.
„Die „Farm der Tiere“, doziert Max eifrig. „Die beste Punkband aller Zeiten! Das war aber lange vor deiner Zeit hier, und die Band gab es eh nur knapp drei Wochen. Aber Nele und Eddy haben es ordentlich krachen lassen.“
Damit trifft Max genau ins Schwarze. Als „Krach“ hatten sowohl die Nachbarn als auch der Musikreporter der Lokalzeitung die beiden Konzerte damals bezeichnet, ganz wie es sich für ’ne gute Punkband gehörte. Gut dreißig Jahre ist das jetzt her, aber die Erinnerungen sind so frisch wie Paulas Pan de Banano, ihr Bananenbrot, das vor ihnen auf dem Tisch steht und köstlich duftet. Max kommt jetzt richtig in Fahrt.
„Wisst ihr noch, das Konzert im Räuberhaus? Das war ein übler Schuppen…und der Gig war wirklich eine einzige Katastrophe. Nur finanziell meine ich, natürlich nicht musikalisch“, fügt Max eilig hinzu. Die damaligen Chefs des Räuberhauses verlangten eine horrende Saalmiete von 300 Mark, hatten aber versprochen, dafür mächtig die Werbetrommel zu rührenZum Konzert kamen dann gerade mal fünf Leute, und zum Schluss stellten die Chefs des Räuberhauses der Band noch 1000 Mark für eine Endreinigung in Rechnung, weil ein Fan aus Versehen ein Bier umgekippt hatte. Das war das Aus für die chronisch klammen Punkmusiker und -musikerinnen, und die „Farm der Tiere“ wurde sang und klanglos abgewickelt.
„War vielleicht auch besser so“, beendet Nele die Erzählung. „Nicht nur wegen der Finanzen…“
„Aber jetzt sind wir doch, naja, vor allem grauer, aber auch weiser!“, ruft Eddy, dem der Ausflug in die Bandvergangenheit wahre Flügel verleiht. „Und das ist jetzt unsere zweite Chance! Denn haltet euch fest: Das Räuberhaus von damals ist heute, naaaa? Genau! Das Bremen! Es wäre doch toll, dort noch mal musikalisch durchzustarten, wo vor dreißig Jahren alles angefangen hat. Back to the roots sozusagen. Nur diesmal ohne Räuber.“