Herr Sommer
“Ey, deine Zeit ist rum!”, ruft der Nachbar über den Zaun, und Herr Sommer verdreht genervt die Augen.
“Ja doch”, knurrt er und erhebt sich träge aus dem Plantschbecken. Irgendwie ging es dann doch immer schnell vorbei. Es kam ihm vor wie vorgestern, dass er noch im Becken gelegen und zugesehen hatte, wie sich die Wespen über die Äpfel des Nachbarn hermachten.
Zugegeben, ihn fröstelte es bereits seit einigen Tagen an den Ohrläppchen, und er war froh, nach vier Monaten endlich in ein Paar Socken und dann in seine Badelatschen schlüpfen zu können, die neben dem Becken auf ihn warteten. Das musste der Aufschneider von nebenan, der gerade das Benzin in seinem Laubbläser nachfüllte, ja aber nicht wissen. Herr Sommer wirft sich seinen Bademantel über und schlurft, ohne sich noch einmal umzublicken, den Kiesweg entlang, der sich zwischen den Gärten hindurchwindet. Vorne an der Straße entzündet er eine Zigarette, während er auf die Straßenbahn wartet, und wickelt den Bademantel eng um sich. Die Sonne scheint noch voller Restwärme, aber der Wind bläst kalt aus Osten und zwickt in seine Backen. Im Spiegelbild eines vorüberfahrenden Autos sieht er, dass er noch immer seine Badekappe trägt. “Himmelarschundzwirn”, entfährt es ihm. Genervt zieht er sie vom Schädel und wirft sie achtlos neben den Haufen Kippen, der vermutlich noch vom letzten Jahr da liegt. Machte hier denn niemand sauber? Bis das Laub von den Bäumen fiel und, falls der Klimawandel ein Einsehen hatte, irgendwann Schnee den Müll gnädig aus dem Sichtfeld verschwinden ließ, würden noch einige kalte Nächte vergehen. Klimawandel. Herr Sommer stöhnte. Als ob er nicht schon hart genug arbeiten würde.
Endlich kommt die Bahn. Die Türen öffnen sich für den einzigen Fahrgast, der hier aussteigt. Es ist Herr Herbst, und er sieht aus, als könnte er es kaum erwarten, sich mit seiner Heizdecke in Herrn Sommers Gartenlaube breit zu machen. Herr Sommer kann Herrn Herbst nicht ausstehen; mit seinem dämlichen Schal und dem Kaffee to Go-Becher in der Hand, als ob eine Tasse Pumpkin Spiced Latte gegen das endlose Grau des Novembers helfen würde. Ohne seine Heizpilze wäre der Herbst verloren.
Die Bahntüren schließen sich hinter Herr Sommer. Draußen steht Herbst und winkt, bis die Bahn um eine Ecke biegt, vermutlich um sicherzugehen, dass er auch wirklich abdampft. Herr Sommer muss lachen: keine zehn Pferde würden ihn hier halten, wenn dieser Typ in die Gartensparte einzog. Er setzt sich auf einen der freien Plätze, zieht eine zerknitterte Zeitung aus dem Bademantel hervor und fährt, ohne einmal umzusteigen, in die Bahamas.